Im Atelier von Herrn Wo Hang

Die Ermittelung einer passenden Schiffsgelegenheit zur Fortsetzung meiner Reise forderte meine Rückkehr nach Hongkong. Am 13. Mai Mittags 12 Uhr machte ich mich auf den Weg und erreichte nach einer herrlichen, vom Monsoon beflügelten Fahrt schon um 4 Uhr den Ort meiner Bestimmung. Unterwegs hatte ich mich sehr gut unterhalten.

Der deutsche Journalist und Schriftsteller Ernst Ludwig Kossak veröffentlichte 1867 das Buch „Prof. Eduard Hildebrandt’s Reise um die Erde – Nach seinen Tagebüchern und mündlichen Berichten“ (alle Zitate von dort). Kossak nutzte für sein Werk die Tagebüchern und die letzten mündlichen Berichte Eduard Hildebrandts, dem deutschen Maler und königlich-preußischen Hofmaler. In den Jahren zwischen 1861 und 1862 unternahm Hildebrandt seine letzte Kunstreise, während der er sich auch in Hongkong und Kanton aufhielt. Dort malte er nicht nur und schrieb Tagebuch, sondern besuchte ebenso Künstlerateliers.

Wir behielten noch Zeit übrig, einen Kunstgenossen in seinem Atelier zu besuchen. Den Meister selber fanden wir nicht nach gewohnter Weise im ersten Stockwerk. Die Räumlichkeit mochte ihm zu dunkel sein; er hatte nur die Eleven darin untergebracht. Die Leistungen der Jungen sowohl wie ihres Principals erhoben sich nicht über den Standpunkt der Anstreicherei. Etwas besser sah es in zwei Ateliers aus, die ich am folgenden Tage heimsuchte. Der Kunstzweig jedes Malers wurde durch große Aushängeschilder angezeigt.


Kossak beschreibt hier nach den Erfahrungen Hildebrandts, was heute kaum noch genau überliefert ist: Die Arbeit von Schiffsportrait-Malern im asiatischen Raum. Während Schiffsportraits bei genauerer Betrachtung sehr aufschlussreich sein können ((Vorausgesetzt, die entsprechenden Informationen sind auf dem Bild zu finden)) – an ihnen lassen sich direkt oder indirekt die Entwicklung der Schiffstypen, Fahrrouten, Farbgestaltung, Flaggenführung und die Besatzung ablesen -, ist über viele Maler heute nichts mehr bekannt. Signaturen fehlen auf vielen Kapitänsbildern, gerade aus dem asiatischen Raum.
Schiffsportraitmaler fertigten weltweit im Auftrag von Kapitänen oder Reedern Darstellungen von unzähligen Schiffen an. In China entwickelte sich der Markt dafür erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bei den Vorbereitungen zum Themensommer kam Kossaks Buch sehr gelegen. Die Erfahrungen, die Hildebrandt mit dem Schiffsportraitmaler Wo Hang macht, können als exemplarisch für die Zeit gelten.

Die Kundschaft der beiden Herren beschränkte sich wohl nur auf eingewanderte Kunstfreunde, denn die Inschriften waren im Pidjen Englisch abgefaßt. Herr Ye Chung war »Landschaftsmaler und Porträt« (Landscap painter and portrait). Herr Wo Hang »Landschaftsmaler und Schiff« (Landscap painter and ship from Canton). Letzterer war sehr stark beschäftigt. Zur Erinnerung an ihre Reise bringen alle Schiffscapitäne gern ein in China verfertigtes Bild ihres Fahrzeuges nach Europa zurück, in dem Laden des Herrn Wo Hang war also eine Anzahl von Seestücken bis auf das Schiffsporträt selber vorbereitet. Ich unterschied zwei Klassen von Hintergründen: eine stille See und ein vom Teifun bewegtes Meer, beide wie durch die Schablone gemalt. Je nach der Bestellung des Kunden wird das Schiff desselben mit ungeheuerlich großer Flagge hineingemalt. Gewöhnlich lassen die Schiffscapitäne beide Sorten anfertigen.

Da es nur einen Namen gibt und kein Bild dazu, lassen sich eventuelle weitere Bilder von Herr Wo Hang nicht zuordnen. Aber dennoch veranschaulichen die paar Zeilen aus dem Reisebericht, wie Kapitänsbilder derzeit entstanden. Was Kossak als „Pidjen Englisch“ bezeichnet, würde man heute „Pidgin-Englisch“ schreiben: ein stark vereinfachtes Englisch mit Elementen aus einer oder mehreren anderen Sprachen. Pidgin-Sprachen entwickelten sich vor allem da, wo Kolonialherren herrschten oder wo Handelsleute aus verschiedenen Sprachfamilien aufeinandertrafen. Diese vereinfachten Sprachformen, die im direkten Umgang miteinander entstanden, ermöglichte es z.B. Handelsleuten, sich zu verständigen. Der Künstler scheint also auf ausländische Auftraggeber eingestellt gewesen zu sein. Das wahrscheinlich bekannteste Beispiel für Pidgin-Englisch, welches auch noch einen maritimen Hintergrund hat, stammt von Harry Belafonte: „Hey Mista Tallyman, tally me banana.
Ein vergleichbares Kapitänsbild wie das der unbekannten Bremer Bark, findet sich in der Sammlung „The China Trade Paintings Digital Images Archive of the Art Discovery Institute, Fairfax, Virginia„. Dort findet man auch ähnliche Dschunken wie auf „unserem“ Kapitänsbild.

(Text: Nicole Gelhaus)